Einführung in das Netzwerkanalyse-Tool „Gephi“

Mit welchen digitalen Forschungswerkzeugen können wir ethnografische Methoden bereichern? Ende März veranstalteten wir eine Einführung in das Netzwerkanalyse-Tool Gephi, die von dieser Frage geleitet war. Mit Gephi können tabellarische Datensätze als Graph visualisiert werden. Üblicherweise wird das Programm zur Analyse großer, oft automatisiert gesammelter Datenbestände verwendet. In unserem Workshop haben wir gemeinsam mit Mace Ojala von der Ruhr Universität Bochum überlegt, ob und wie Gephi auch für qualitative Forschung mit ethngorafischen Methoden sinnvoll genutzt werden kann. Teilgenommen haben sowohl Studierende, als auch Forscherinnen des Graduiertenkollegs „Fixing Futures“. Ein großer Vorteil für alle: Die Software ist Open Source und damit frei verfügbar.

Der Graph, die zentrale Funktion von Gephi, hat die typische Form eines Netzwerks aus Knotenpunkten und Verbindungslinien, sogenannten „nodes“ und „edges“. Die Netzwerk-Semantik hat sich über die letzten Jahrzehnte in fast allen gesellschaftlichen Bereichen etabliert: Mit der Metapher des Netzwerks lassen sich die Beziehungen zwischen diskreten Instanzen (zum Beispiel Individuen, Organisationen oder Gegenständen) beschreiben. Sie bietet damit eine mögliche Perspektive auf die Welt, die in den Science and Technology Studies eine lange Tradition hat, beispielsweise in der Akteur-Netzwerk-Theorie oder in relationalen Ansätzen. Die Forschungssoftware Gephi wurde entwickelt, um die visuelle Darstellung und die computergestützte Analyse von Netzwerken auf der Basis einer Datengrundlage zu ermöglichen.

In unserem Workshop haben wir zunächst einige epistemologische Grundannahmen des Netzwerk-Denkens geklärt, um daraus Bedingungen für einen sinnhaften Einsatz von Gephi und vergleichbaren Werkzeugen für ethnografische Forschungen zu entwickeln. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie zumeist Praktiken untersuchen und die Beziehungsweisen und Verstrickungen ihrer empirischen Gegenstände in den Vordergrund stellen. Die Metapher des Netzwerks kann helfen, die durch die Praxis und in der Praxis enstehenden Verbindungen zwischen menschlichen und anderen Entitäten im Feld zu erkennen, sie in ein symmetrisches Schema zu überführen und damit der wissenschaftlichen Analyse zugänglich zu machen. Angeleitet durch Mace Ojala konnten wir uns diese zugrundeliegende Logik der Netzwerkanalyse gemeinsam erschließen und überlegen, welche Aspekte aus unseren unterschiedlichen Forschungsprojekten wir gern auf diese Weise digital abbilden würden. Auch über Schwierigkeiten bei der Übersetzung von ethnografischem Material in die Netzwerklogik von Gephi haben wir uns ausgetauscht: Nicht immer lassen sich die Beobachtungen aus dem Feld in die tabellarische Form übertragen, die die Erstellung eines Graphen erfordert. Zwar lassen sich beispielweise die Intensität oder die Relevanz eines Kontaktes durch numerische Gewichtungen oder farbliche Codes visualisieren. Jedoch müssen dazu vorab viele Entscheidungen getroffen werden, wie sich Intensität oder Relevanz im Feld zeigen und ob diese sich in allen Fällen angemessen quantifizieren lassen.

Die Einführung war somit eine gute Gelegenheit, mit neuen methodischen Fragen auf die verschiedenen STS-Forschungsprojekte an der Goethe Universität in Frankfurt zu blicken und dabei über Potenziale und Hürden digitaler Forschungswerkzeuge ins Gespräch zu kommen. Wir nehmen mit: Durch das Arbeiten mit dem Softwaretool Gephi lassen sich nicht nur anschauliche Graphen erzeugen, sondern wir können uns damit auch unserer eigenen wissenschaftlichen Arbeitsweise bewusst werden und implizite ethngorafsiche Annahmen explizieren. Eine wertvolle Übung für unsere Projekte!

Workshop im Ethnography Studio an der USC 2024

Im September 2024 haben wir im Rahmen einer Forschungsreise nach Los Angeles gemeinsam mit Andrea Ballestero den Workshop „Missing, Underappreciated, Found“ im Rahmen des Ethnography Studios organisiert und unsere Forschung unter dem Thema „Maps and Models as Machine Ethnography“ mit Kolleg:innen diskutiert.

Mit dem Ethnography Studio an der University of Southern California in Los Angeles haben Andrea Ballestero und Katie Ulrich ein Forum geschaffen, das Ethnograf:innen aus verschiedenen Disziplinen zusammenbringt – von Kunst und Ingenieurwesen bis hin zu Anthropologie, Informatik und Soziologie. Hier experimentieren Forschende mit neuen Ansätzen, um komplexe soziale Phänomene zu verstehen. Eine leitende Idee ist, dass die Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten ethnografischer Forschung sich für kreatives Denken als wertvoll erweisen. Das Studio setzt auf eine Vielfalt an Methoden und theoretischen Perspektiven und schätzt Widersprüche statt Kohärenz. Die Mitglieder entwickeln ihre Projekte und Forschungsideen in einem kollaborativen Raum, in dem sie sich gegenseitig herausfordernde Fragen stellen.

Bei einer River Tour am zweiten Workshoptag erhielten wir spannende Einblicke in die mehr-als-menschlichen Assemblagen, die die Infrastrukturen Los Angeles ausmachen

„Missing, Underappreciated, Found“

Im Workshop Missing, Underappreciated, Found wurden die Transitional Devices untersucht, die Ethnografen in ihrer Arbeit begegnen oder selbst erzeugen, um ihre Forschungsprojekte zu entwickeln. Ziel war es, die Möglichkeiten zu beleuchten, die diese ethnografischen Werkzeuge (wie Satellitenkarten, Datenbanken, quantitative Modelle) eröffnen, wenn die Arbeit mit ihnen etablierte ethnografische Methoden wie teilnehmender Beobachtung und Interviews ergänzt.

Neben unserer Projektgruppe stellten zwei weitere Projekte ihre laufende Forschung vor: Labyrinth (UCLA) und Expanding the Social World Downwards (USC).

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In unserem eigenen Beitrag haben wir unter der Überschrift Maps and Models as Machine Ethnography untersucht, wie digitale Kartierung und Quantitative Modelle als Werkzeuge und Gegenstände Ethnographischer Forschung spannende Perspektiven und Einsichten ermöglichen. Dabei stellten wir zwei Objekte gegenüber: Das neue Verkehrsmodell, das Ingenieure der Stadt Frankfurt entwickeln sowie unsere eigene experimentelle Kartierung der komplexen Akteurs- und Datenlandschaft im Kontext der Mobilitätswende in Frankfurt, die wir mit der digitalen Graphenvisualisierungssoftware Gephi erstellen. Dabei zeigten wir auf, wie diese digitalen Modelle und Karten nicht Abbilder der Realität darstellen, sondern in ihrer Reduktion komplexer Zusammenhänge selbst weltgestaltend sind und ethnographische Forschung und ihre Fragestellungen aktiv prägen und erweitern.

Wie kommt Wissen in Bewegung? Stadtgespräch: Mobilität und Beteiligung in der Stadt

Am 18.04.2024 öffnete die Agentur des Städtischen Wandels ihre Türen und lud die Frankfurter*innen zu einem Gespräch über Mobilität und Beteiligung in der Stadt ein. Die Überschrift lautete: „Wie kommt Wissen in Bewegung?“ Organisiert wurde diese kostenlose und öffentliche Veranstaltung in enger Zusammenarbeit mehrerer Forschungsprojekte und Institutionen.

© Stefanie Kößling

Das Organisationsteam bestand aus Martin Herrnstadt, Leiter des internationalen Forschungsnetzwerks „Globale Enquêtenkulturen: Ansätze zu einer Praxeologie der Erhebung (17.–21. Jahrhundert)“ am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen, Timotheus Kartmann mit seinem Forschungsprojekt „Das soziale Museum“ und Janine Hagemeister und Catharina Dietrich aus dem Projekt “Datenpolitiken auf der Spur“. Das Ziel war es, verschiedene Positionen und Perspektiven von Expert*innen aus Stadtgesellschaft, Wissenschaft, und Verwaltung zusammenzutragen und ins Gespräch zu bringen.

© Stefanie Kößling

Den Auftakt machte Johanna Lanio von der Polytechnischen Gesellschaft, die in einem kurzen Beitrag die Umfrage „Frankfurt Next Generation“ vorstellte. Diese Umfrage richtete sich an Nutzer*innen digitaler Plattformen und war als niedrigschwelliges Beteiligungsangebot konzipiert. Im Anschluss moderierten wir eine Podiumsdiskussion, in der die geladenen Expert*innen über ihre Erfahrungen mit Beteiligungsprozessen und Wissensproduktion im Kontext der Stadtentwicklung berichteten.

Isabel Istel vom Verein Umweltlernen in Frankfurt e.V. gab dabei spannende Einblicke in die Beteiligungsprojekte mit Kindern und Jugendlichen, die Teil des Prozesses zur Erstellung des Masterplans Mobilität waren. Die Projekte, an denen Schüler*innen aus Frankfurter Schulen beteiligt waren, stießen sowohl im Podium als auch im Publikum auf große Zustimmung. Mehrere Stimmen aus dem Publikum betonten, dass solche Formate verstärkt angeboten werden sollten, um jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Stadt aktiv mitzugestalten. Tobias Krauch stellte die Beteiligungsprojekte des Deutschen Architekturmuseums und der Agentur des Städtischen Wandels vor und erklärte, wie Reallabore genutzt werden, um in verschiedenen Stadträumen Beteiligung zu initiieren und neue Formen des Dialogs zu erproben.

Diese praxisnahen Erfahrungsberichte ergänzte Nils Güttler um eine wissenschaftliche Einordnung. Als Wissenschaftshistoriker an der Universität Wien forscht er unter anderem zu „Gegenwissen” und Beteiligung und verknüpfte im Podiumsgespräch die Erkenntnisse aus seiner historischen Forschung mit aktuellen Fragestellungen. Er spannte einen Bogen zu den Protesten gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens in den 1980er Jahren, bei denen Bürger*innen eigenes Wissen produzierten, um hegemoniale Strukturen herauszufordern. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass sich die Rahmenbedingungen für Beteiligung wie auch ihre politischen Bedeutung seitdem verändert hätten. Die Einbindung des Wissens aus der Stadtgesellschaft sei heute viel selbstverständlicher.

© Stefanie Kößling
© Stefanie Kößling

Während der Diskussion wurde deutlich, dass Beteiligung nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen mit sich bringt. Sebastian Kotek von der Superblock Initiative in Bockenheim und Beatrix Baltabol für den Radentscheid sprachen darüber, was ehrenamtliches Engagement alles leisten kann und welche Unterstützung Initiativen brauchen. Mit Stephan Böhm-Ott vom Dezernat Planen und Wohnen war auch ein Vertreter der Stadt anwesend und bereicherte das Gespräch mit seiner Sicht auf Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in der Stadtplanung.

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Isabel Istel sprach über die Schwierigkeiten, die besonders in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen sichtbar würden. Sie schilderte, wie wichtig es sei, dass junge Menschen durch Beteiligungsprojekte Demokratie erleben können. Dabei wurde jedoch auch die Frustration thematisiert, die entsteht, wenn einfache Wünsche, wie die Einrichtung eines Zebrastreifens, erst nach langer Zeit umgesetzt würden – oft erst so spät, dass, wenn es soweit sei, die Jugendlichen ihre Schule längst gewechselt hätten. Mehrere Podiumsgäste hoben hervor, dass Beteiligungsprojekte sichtbarer gemacht werden sollten, um den Austausch unterschiedlicher Perspektiven zu fördern und langfristig mehr Wirkung zu erzielen.

Die lebhafte Publikumsdiskussion bildete das Kernstück des Abends. Zahlreiche Besucher*innen brachten ihre eigenen Erfahrungen ein und bereicherten die Debatte mit ihren Blickwinkeln. Da das Podium in seiner Besetzung der Diversität der Frankfurter Stadtgesellschaft nicht gerecht werden konnte, war es uns besonders wichtig, allen Stimmen viel Raum zu geben. Wir haben uns gefreut, dass auch ein Vertreter der Frankfurter BehindertenArbeitsGemeinschaft (FBAG) anwesend war und die geschaffene Öffentlichkeit nutzte, um seine Kritik an stadtplanerischen Prozessen zu platzieren.

Nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung blieben viele Gäste zu einem lockeren Austausch bei Getränken. In dieser entspannten Atmosphäre entwickelten sich zahlreiche Gespräche und es wurden neue Kontakte geknüpft.

Im Raum war zudem eine Ausstellung aufgebaut, die verschiedene Aspekte der Beteiligungsprojekte visuell darstellte. Große Poster zeigten die Ergebnisse der Jugendbeteiligung im Rahmen des Masterplans Mobilität sowie Entwürfe des Radentscheids. Die Bürgerinitiative Superblock Bockenheim präsentierte Daten, die ihre Mitglieder in OpenStreetMap gesammelt hatten. Dabei handelte es sich unter anderem um Kartierungen von Gehwegbreiten und Parkregelungen, die von den Aktiven akribisch erfasst wurden.

Der Abend war für uns reich an Einblicken und Perspektivwechseln. Die Veranstaltung hat nicht nur unterschiedliche Akteur*innen zusammengebracht, sondern auch gezeigt, wie viel Wissen und Engagement in der Stadtgesellschaft vorhanden ist.